Windmühlen und neuer Hering
Eigentlich wollten wir nach Delft. Doch der uns empfohlene Campingplatz war ausgebucht. Und nicht nur der. Holländer gehen offenbar an Juni-Weekends am liebsten campen! Wir bekamen den letzten freien Platz in einem Camping bei Scheveningen, dem Seebad von Den Haag. Nah am Meer und nicht all zu weit von den berühmten alten Mühlen von Kinderdeijk.
Über sieben Fähren musst du zu den Mühlen fahren... Diese hat nur für zwei Autos Platz.
Die alten Mühlen von Kinderdeijk
Das UNESCO-Weltkulturerbe Kinderdeijk besucht man am besten abends, wenn (fast) alle Touristen weg sind. Dann ist es hier absolut idyllisch und das Licht bezaubernd schön! Die Mühlen sind nicht nur Museum, sondern funktionstüchtig und bewohnt. Wir trafen dort einen Mann aus der Region und er erzählte mir, dass die Mühlen bei starkem Hochwasser die modernen Wasserpumpen noch immer unterstützen. Seit Hunderten von Jahren pumpt man Wasser in grössere Flüsse, um das Land zu entwässern, es bewohn- und nutzbar zu machen. Solche, dem Wasser abgetrotzte Landflächen, nennt man Polder. Da die Polder tiefer liegen als die sie umgebenden Gewässer, müssen sie auch heute noch ständig entwässert werden.
Auch ein Selfie muss mal sein!
Das Leben hier war nicht immer so beschaulich und komfortabel wie heute. Ständig bedrohten Flutwellen die Menschen am Meer und das Wasser ist hier auch heute noch überall: es kommt von oben, von unten und eben auch waagrecht aus dem Meer. Zwei grosse Sturmfluten überschwemmten das Land bis 60 km (!) landeinwärts und bildeten riesige Seen. Viele Menschen starben. Deshalb baute man mehrere, sogenannte Abschlussdämme, die das Meer nicht mehr auf das tiefer gelegene Land lassen. Darum heisst Holland ja korrekterweise Niederlande. Mit Holland sind eigentlich nur die beiden Provinzen Nord- und Südholland gemeint.
Und obwohl die Windmühlen jede niederländische Postkarte schmücken, mögen Holländer keine Windmühlen. Hier könnte man die Wind-Energie so gut nutzen, aber die Opposition gegen moderne Windparks ist enorm. Allerdings muss auch Holland die EU-Normen erfüllen und vermehrt auf alternative Energien setzen.
Erfüllt von dem schönen, warmen Sommerabend bei Kinderdeijk fahren wir zurück an den Hafen von Scheveningen. In diesem Seebad ist der Teufel los: Der „Hollandse Nieuwe“ (neuer Hering) ist eingetroffen. Sobald der Fisch einen Fettgehalt von mindestens 16% erreicht, darf er gefangen werden. Er wird direkt auf den Fischerbooten filetiert und nach traditionellem Rezept eingesalzen. Die Heringssaison beginnt jedes Jahr im Juni mit der traditionellen Versteigerung des ersten Fasses Fisch und das ist den Menschen hier ein grosses Fest wert. Hier in Scheveningen zum Beispiel der berühmte „Vlaggetjesdag“ (Flaggentag). Und wir per Zufall mittendrin…
Ein Chörli singt, alle johlen mit, wir essen milden, neuen Hering und trinken dazu - vom holländischen Kellner empfohlen! - österreichischen Wein. Was für eine Kombination! Das alte und das neue Holland könnten unterschiedlicher nicht sein...
Auf dem Heimweg wundern wir uns über folgendes, skurriles Angebot eines Boots-Unternehmens:
Sportfischen
Rundfahrten
Seebegräbnisse
Vermutlich in genau dieser Reihenfolge: Erst ein bisschen fischen, auf der Rundfahrt totgeschlagen und sogleich ehrenvoll seebestattet werden. Damit der Fischer den von uns gefangenen neuen Hering gleich selber fressen kann...