No fake news! Die Wahrheit über Beats 60. Geburtstag
Ich machte mir ja schon vor ein paar Tagen langsam ein bisschen Sorgen. Zwei Wochen waren wir schon unterwegs, immer schönes Wetter und fast täglich erlebten wir Etwas, von dem wir glaubten, dass es nicht mehr zu toppen wäre. Den romantischsten Sonnenuntergang, das lauschigste Camping-Plätzchen, das authentische, gute und preiswerte Beizli am Meer - name it, we had it. Was sollte da an Beats Geburtstag noch Besseres kommen? Pulver im voraus verschossen, sozusagen.
Und dann der Wetterbericht! Der einzig wirklich schlechte Tag mit Regen und Wind war für den 6. Juni prognostiziert. 5. Juni: grand beaux. 7. Juni: grand beaux. 6. Juni: Schei..wetter! Und so kam es dann auch.
Am Morgen des 6. Juni 2017 geht über Biarritz ein sintflutartiger Regen nieder, der unseren Schlammplatz vor der Tür noch ein bisschen schlammiger macht. Der Wind bläst uns fast von der Wohnwagentreppe und an Frühstück draussen ist nicht zu denken. Wir verbummeln also den Vormittag gemütlich im Wohnwagen und widmen uns dann so profanen Dingen wie Chemie-Klo leeren, Wasser auffüllen, Vorzelt abbauen, Schlamm von der Vorzelt-Unterlage schruppen. Denn morgen wollen wir ja weiterziehen. Campen ist eben auch an Geburtstagen kein Ponyhof.
Gegen 15 Uhr lockern sich die Wolken auf - also nix wie raus hier! Wir suchen in Biarritz einen Parkplatz und in einer engen, steilen Strasse verabschiedet sich unser neuer Audi sang- und klanglos von uns. Ein paar letzte Hilfeschreie (Anhängerkupplung, Reifendruck, Batterie - bitte prüfen!!!). Und dann herrscht Stille. Totales Organversagen.
Sogar, dass kleine Notruflämpli an der Decke, mit dem man überall und in jeder (Unfall-Position) um Hilfe rufen könnte (so, man denn dazu noch in der Lage wäre) hatte seinen Geist aufgegeben. Hirntod also auch schon eingetreten. Die hinteren Türen und das Heck lassen sich nicht mehr öffnen und ich verlasse schleunigst das Fahrzeug des Grauens, bevor es uns noch ganz einschliesst und nie mehr hergibt! Man stelle sich das mal vor: 60jähriger Mann mit Ehefrau an seinem Geburtstag in neuem Audi verhungert, verdurstet, erstickt. Audi hat offenbar nicht nur ein Abgasfilter-Problem …
2. Akt: Pannendreieck aufstellen. Aber wo befindet sich das verlixte Ding?? Bestimmt unter all unseren Schuhboxen, Koffern, Badetaschen, Wasserflaschen… Immerhin - das Handschuhfach ist noch zugänglich und so finden wir im 1000-seitigen Handbuch auch den Aufbewahrungsort des Dreiecks: Auf der Innenseite der Heckklappentür. Die geht aber nicht mehr auf…
Jetzt folgt ein Telefonat mit dem Call-Center der Firma Audi. Eine freundliche deutsche Dame will sehr Vieles wissen: Nummernschild, Fahrzeugtyp, Blutgruppe, Reifendruck, Garage (sorry, ich kann Bachenbülach nicht finden..), Alter des Autos (fabrikneu!), wann war der letzte Service (noch nie, das Auto ist ja fabrikneu, herrgottnochmal!). „Aber da muss was stehen“, insistiert die Dame. Am liebsten hätte ich Beat das Telefon aus der Hand gerissen und der Frau auf gut deutsch gesagt, dass sie sich ihr Protokoll an den Hut stecken und uns bittschön sofort einen Abschleppdienst schicken soll.
Aber sowas tut man natürlich nicht. Schon gar nicht am Geburtstag des Ehemannes. Weiter gehts: „Wo sind Sie?“ In Biarritz. Nach gefühlten zwei Minuten ertönt ein erstauntes „Oh, sie sind ja in Frankreich!“ „Ja, sagten wir doch die ganze Zeit! Und an einem ziemlich umkomfortablen Standort dazu!“ Ich koche innerlich aber Beat bleibt wie immer seelenruhig und gerade als er den letzten Buchstaben von „Perspective de la côte des basques“ buchstabiert - ein wirklich äusserst unpraktischer Strassennamen für ein Pannen-Gespräch - kapituliert die Dame und gibt uns eine Schweizer Telefonnummer.
Ich glaub das jetzt einfach nicht. Zurück auf Platz 1, alles nochmals von vorn? Doch in diesem Augenblick meldet sich unser Auto zurück! Es sieht aus, wie wenn sich auf dem Monitor einer Intensivstation das Zick-Zack des Herzschlags wieder zeigt und das Biepen auf neues Leben hoffen lässt. Die Audi-Festplatte formatiert sich offenbar gerade neu.
Beat fährt danach, hocherfreut über die Wiedergeburt seines Audis, in eine beängstigend enge und dunkle Tiefgarage (gütiger Gott, hoffentlich brauchen wir keinen Abschleppdienst in diesen heissen Katakomben!). Und dann schauen wir uns endlich bei inzwischen strahlend blauem Himmel Biarritz an!
Die Surfer an der grande plage, der alte Hafen mit seinem entzückenden kleinen Stadt-Strand, der rocher de la vierge, wo ich zur Jungfrau Maria bete, dass sie uns doch bitte, bitte wieder heil aus diesem schrecklichen 7-Stöcke-unter-der-Erde-Parkhaus rauslassen möge. Wir trinken auf der Place Clémenceau in der Patisserie Miremont Kaffee mit Schlagrahm (also, ich - mit Schlagrahm meine ich), geniessen Sonne und Aussicht und dann - oh Wunder - fährt unser Audi völlig problemlos aus dem grässlichen Parkhaus. Maria sei Dank!
Den Abend verbringen wir, einem 60. Geburtstag angemessen, im wunderschönen Hôtel de Palais, dem ehemaligen Sommersitz von Napoléon dem Dritten und seiner Ehefrau Eugénie. Das Schloss aus dem 18. Jahrhundert ist seit über 100 Jahren ein Fünfsternhotel mit einem sehr guten Restaurant.
Den Apéro müssen wir uns allerdings teilen (s. Fotos unten). Irgendwie beruhigend: Auch auf Fünfsterne-Tische scheissen regelmässig ganz profane Spatzen...
Dafür erhalten wir im Restaurant den Platz mit der besten Aussicht auf die atemberaubend schöne Bucht und geniessen den Abend sehr. Alles gut, alles wunderbar! Wie sagte Nam June Paik doch so treffend: „Wenn zu perfekt, liebe Gott böse“.
Ein Taxi bringt uns zum Campingplatz zurück, ich wechsle vor dem Schlamm von Stiefelchen zu Crocks und dann legen wir uns schlafen. Als ich noch einen kurzen Blick auf unser Auto werfe, brennt das Rücklicht sehr rot. Autos sollten sowas mitten in der Nacht nicht tun. Das Auto lässt sich auch nicht mehr öffnen. Akuter Rückfall! Aber wisst ihr was? War uns jetzt grad sowas von schei..egal! Soll der Audi „Superquattro Irgendwas“ doch in Schönheit sterben. Snob, Elendiger! Morgen ist auch noch ein Tag!
PS: Am nächsten Morgen verrät mir Beat, das Einzige, was ihn beunruhigt, bzw. geärgert hätte, sei, dass der Not-Knopf im Audi-Dach nicht funktioniert habe. So ein schönes neues geiles Teili! Und versagt schon bei der ersten Not-Situation seinen Dienst.
Es half auch nicht, dass ich beiläufig erwähnte, ich hätte in der Gebrauchsanleitung gelesen, dass dieses Ding nur funktioniere, wenn das grüne Lämpchen brenne. Und gestern hätte es rot geleuchtet. Ja, ja, manchmal sollte man einfach schweigen...